Neulich diskutierte ich mit anderen PsychodramatikerInnen über die Frage, wie Aggressionen auf der Bühne gehandelt werden sollten. Unsere Meinungen bewegten sich zwischen „Laufen lassen, da sonst das Gefühl verebbt und die Auseinandersetzung weniger organisch ist“ und „Raum für einen ‚Kampf‘ einrichten, Regeln und Codewort abmachen und Notfalls den Antagonisten durch Stuhl oder Kissen ersetzen“. Wie immer liegt zum Teil die Antwort auch hier wohl je nach Situation woanders. ABER hinter dieser Diskussion steht für mich eine größere Frage.
Spontanität und Kreativität sind zentrale Konstrukte psychodramatischer Arbeit. Eine einheitliche Definition dieser Begriffe für sich allein genommen ist bereits eine komplexe Angelegenheit. Es geht aber noch schwieriger: Psychodramatisches Arbeiten ist was es ist, weil sich bestimmte Erwärmungs-Methoden, Elemente und vor allem die konkreten Techniken wiederholen und ein Ganzes bilden. Wie steht nun dieses begrenzte Gebilde im Verhältnis zu dem Ungegängelten, Ursprünglichen und Wilden, das in den Begriffen Spontanität und Kreativität anklingt? Wie kann das gehen?
Hier eine scheinbar paradoxe Antwort: Auf der Makro-Ebene für Struktur zu sorgen, um Freiräume auf der Mikro-Ebene zu schaffen. Damit meine ich, die Leitung bekommt bestimmte Wegweiser an die Hand, wie sie den gesamten Prozess betrachtet, d.h. wie sie die Aussagen der ProtagonistInnen einordnen kann und wie sie vom Problem über die Szene(n) zu Anhaltspunkten für neues Erleben und Verhalten kommt. Einen solchen Rahmen zu haben entlastet und setzt kognitive und affektive Ressourcen frei, um im kleinen kreativ Szenen aufzubauen, Methoden einzusetzen und zu variieren. Und für eben solche Makro-Struktur ist mir jetzt die Psychodrama-Spirale wieder untergekommen und hat mich neu überzeugt. Kurz zusammengefasst beschreiben Goldmann und Morrison[1] wie sich ein prototypisches Protagonistenspiel vom vorgetragenen Problem über aktuelle Situation und weiteren Szenen in der Gegenwart und jüngeren Vergangenheit bis hin zur frühen Kindheit ein Verständnis für den Kern des Themas bildet und das Muster konkretisiert werden kann. Aus dieser Konkretisierung kann dann über Katharsis hinaus Einsicht geschehen und die Integration von Affekt und Kognition initiiert werden. Zum Abschluss führt das Spiel wieder in die Gegenwart oder darüber hinaus (Surplus-Reality) und Rollentraining wird angeregt. Sollte das nicht helfen den Kopf der Leitung frei zu machen für spontane und kreative Inszenierung der einzelnen Szenen?
Für das Beispiel vom Anfang – der Aggression auf der Bühnen (hier gemeint als Rangeleien oder Kampf zwischen ProtagonistIn und AntagonistIn) – ergibt sich analog für mich folgende Hypothese: Aggression und Wut sollten eine Makro-Struktur bekommen (Inszenierung), damit die Akteure innerhalb der Szene spontan und kreative sein können. Ein klarer Rahmen entlastet die ProtagonistInnen von der Angst aus Versehen jemanden zu verletzen und die Leitung muss nicht ständig aufpassen; beide sind freier. ProtagonistInnen sind frei zu agieren und die Leitung ist frei über die Szene hinaus zu denken. Sie sollte dann besser in der Lage sein, das Ausagieren von aggressiven Impulsen fein zu trennen von Fragen und Themen, die nach einer „Kampf-Szene“ übrig bleiben oder sogar erst danach (dadurch?) zum Vorschein kommen.
Warum sind solche Überlegungen relevant? Ich denke zum einen bieten Rahmenstrukturen wie die Psychodrama-Spirale ein hilfreiches Gerüst, um NutzerInnen psychodramatischer Angebote wiederholbare Qualität zu bieten. Andererseits bieten Diskussionen um die Frage nach der Struktur von Psychodrama eine Gelegenheit zur Weiterentwicklung der Methode.
Vielleicht sogar so
In Anbetracht einer sich verändernden Welt könnte ein fortlaufender, internationaler Diskurs unter PsychodramatikerInnen über Strukturierung psychodramatischer Prozesse die Zukunft unserer Methode bedeuten.
[1] Goldman, Elaine E. & Morrison, Delcy Schram. (1984). Psychodrama: Experience & Process. pb. (Out of Print.) Auf Deutsch findet man einen Teil-Abdruck hier: Goldman & Morrison (1988). Die Psychodrama-Spirale. Psychodrama, 1, 55-64. Und mit interessantem Beispiel bei Manfred Dietl (1998). Die psychodramatische Spirale – Anwendungsmöglichkeiten in einer Selbsterfahrungsgruppe mit Pädagogikstudenten, dargestellt an einem Fallbeispiel. Skripte zum Psychodrama, Bd. 15. Moreno-Institut Stuttgart. http://www.morenoinstitut.de/skripte.php
#1 by Karsten Krauskopf on 17. April 2013 - 10:02
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Ja, Ulf, da hast du Recht. Reichlich Themen, aber sie mussten einfach alle mal raus ;).
Kurze Anmerkung zuerst, die Diskussion, die ich meine hat nichts mit Freiburg zu tun, die fand mit Psychodrama-Freunden privat statt.
Zu 1) genau so einen Austausch meine ich, damit wir uns nochmal bewusst machen und sammeln was welche Arbeitsweisen eigentlich für Grundannahmen hat.
Deine Ideen zur Arbeit mit Aggressionen finde ich sehr wertvoll – besonders das umgestalten in Beziehungsbotschaften gefällt mir.
Ansonsten bleibe ich gespannt, was dir noch dazu weiter einfällt.
Herzliche Grüße
Karsten
#2 by Ulf Klein on 17. April 2013 - 08:56
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Puh, Karsten, das sind ja reichlich Themen für ein halbes Dutzend Themenstränge, die Du da ansprichst. Ich werd mal sehen, dass ich am Wochenende etwas ausführlicher darauf reagieren kann. Hier erst mal zwei Aspekte:
1) Die psychodramatische Spirale ist ein typisches Beispiel für die biografisch „vertikal“ orientierte Arbeitsweise, wie sie meines Wissens vor allem von Zerka entwickelt und verbreitet worden ist. Moreno selbst hat wohl meist eher „horizontal“ mit der aktuellen Situation der KlientInnen gearbeitet. In Zerkas Memoiren sind dazu ein paar sehr schöne Beispiele geschildert, etwa wenn er es einem Transgender-Klienten (in den 40er oder 50er Jahren) ermöglicht, im Rahmen der Behandlung in Beacon als Frau (und Hilfspfegerin) zu leben. Die Spirale gibt dem biografischen Arbeitsstil mit der klassischen Übertragungsfrage („Woher kennen Sie das denn?“) natürlich einen ganz wunderbaren Rahmen, es ist aber nur eine der möglichen Strategien.
2) Zur psychodramatischen Arbeit mit Aggressionen: da finde ich in Deinem Beitrag nicht das wieder, was für mich das zentrale bei der Arbeit mit Gefühlen – also auch Aggressionen – ist. Nämlich wenn in der psychodramatischen Arbeit heftige Gefühle auftreten, sie einerseits zu fördern und ihnen einen sicheren Rahmen zu geben, ausgedrückt und ausgelebt zu werden. Dazu geht es aber auch darum, die KlientInnen dabei zu begleiten, diese Gefühle gestalten und steuern zu lernen, um so emotionale Kompetenz zu vergrößern.
Im Fall der Aggressionen heißt das z.B. eine KlientIn entwickelt den Impuls, ihren Antagonisten zu schlagen. Dann gestalte ich im ersten Schritt die aktuelle Szene so, daß die ProtagonistIn auf sichere Weise (etwa mit Hilfe von Kissen und weiteren Mitspielern) mal losschlagen kann. Im zweiten Schritt ist es dann aber wichtig, das Schlagen mit entsprechenden Worten (und damit Botschaften) an die Antagonistin zu begleiten. Und der dritte Schritt besteht dann natürlich darin, diese verbalen Botschaften so klar, deutlich und prägnant auszugestalten, dass das Schlagen gar nicht mehr gebraucht wird.
Dieser Aspekt, das Umwandeln des ungestalteten Affektausbruchs in eine kompetente emotionale Beziehungsbotschaft, der fehlt mit in Eurer Freiburger Diuskussion.
Soweit erst mal genug für heute abend, demnächst mehr, auch zu Thema Struktur. DEine Gedanken zu Mikro- und Makro-Ebene find ich sehr richtig.
herzlichen Gruß
Ulf